Über "Michel"

Über "Michel"

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Hallo – ich bin's wieder. Rolf von Le Pop.

Das Gesicht hier neben mir gehört Mathieu Boogaerts und das dazugehörige Album heißt "Michel". Warum genau habe ich vergessen. Ich meine, es lag daran, weil er den Klang des Namens so schön fand. Das Albumcover erzählt eigentlich schon eine Menge über "Michel": es ist dunkel, zeigt nur das Nötigste – das Licht wurde so gewählt, dass man seine Konturen deutlich erkennt, ohne zu viel zu betonen. Sein T-Shirt, sein Jacket, ein paar Bartstoppeln, das ist alles. Und so ist dieses Album auch. Es ist sehr klar, puristisch und schön. Die Grundstimmung passt zum Hintergrund – der Kern der Musik ist aber zart, weich und warm.

Mathieu Boogaerts war bis "Michel" vor allem für seinen Hit "Ondulé" bekannt, den wir auch als Eröffnungsstück von der ersten "Le Pop" ausgesucht hatten. Er galt einigen als der ewige, leicht tollpatschige Komiker des Chanson, der zwar über charmante Songs verfügte, den man aber trotzdem nicht so ernst nahm wie, sagen wir zum Beispiel, Dominique A. Vieles von dem, was er musikalisch tat, war angereichert mit Gimmicks, skurrilen Ideen und kleinteiligen Arrangements, die etwas von seinem Talent als Songwriter verdeckten. Ihm schien dieses Image zu behagen. Allein das "Ondulé"-Video, bei dem er sich vor laufender Kamera nach einer Afrika-Reise den dort wild gewucherten Bart samt Frisur stutzen ließ, spricht Bände. Er guckt immer mal verdutzt, scheinbar ernst und macht einfach weiter, als wäre er gerade auf einer Bananenschale ausgerutscht und versuche, es sich nicht anmerken zu lassen.

"Michel" aber war die Abkehr davon, als wollte er - der von der Komödie kam - endlich eine ernste Rolle spielen. Tja, und was soll ich sagen, das hat er so überzeugend geschafft, wie es ihm wohl kaum jemand zugetraut hätte. An "Michel" sitzt einfach alles an seinem richtigen Platz, es hat Tiefe wie ein Soul-Album und es spricht die direkte Sprache von einem fantastischen Songwriter, der, würde er nicht Französisch sondern Englisch singen, in einem Zug mit Elliot Smith und Mark Hollis genannt werden. Für viele Musiker und Journalisten in Frankreich gilt dieses Album heute als Klassiker.

Boogaerts war damals schon klar, was ihm damit gelungen ist. Mir wurde von seiner Plattenfirma erzählt, dass er "Michel" wie eine kostbare Ming-Vase präsentierte, als er das Master bei ihnen vorbei brachte. Sie sollten behutsam damit umgehen, so behutsam, wie er es geschrieben und aufgenommen hatte. Dabei hat er sich nicht komplett neu erfunden. Nur transformierte er den Reggae, der vor allem auf den ersten beiden Alben oft als rhythmisches Gerüst diente, beim Opener "Une bonne nouvelle" zu einem so bedächtigen Off-Beat, dass man ihn kaum noch so nennen konnte. Bei "Siliguri" ist, wie auch schon vorher zu hören, eine afrikanische Highlife-Gitarre zu hören - sein Gesang ist hier allerdings so Chanson-typisch pointiert gesetzt, dass man schnell die exotische Note vergisst, würde er nicht von Ouagadougou singen. Selbst der aus den Frauen des Labels bestehende Chor wirkt nicht wie einer seiner skurillen Einfälle früherer Zeiten, sondern hier als das wohl ausgesuchte Stilmittel. Wie er bei "Dommage" nach ein paar geklimperten Klaviertönen am Anfang bedächtig aber stetig die Intensität steigert, ist ungeheuer wirkungsvoll. Genauso wie er ab einem bestimmten Punkt, an dem ihm das Level reicht, den Song einfach ausklingen lässt. So als wollte er sagen, bis hierher und nicht weiter, nächstes Stück bitte. Ähnlich der Effekt, wie er die Tremolo-Gitarre bei "J'sais pas ou t'es parti" erst zum Ende wirklich deutlich erklingen lässt, obwohl er sie schon vorher so spielt. Es wird klar, dass Boogaerts die Stille des Albums braucht um die Instrumente die er benutzt in den Focus zu setzen. Da wo früher Spielzeug-Klang oder Dub-Echo benutzte, rückt er eben jetzt das Vibrieren der Saite dem Hörer ins Bewusstsein. Das führt dazu, dass man Michel immer und immer wieder hören kann, weil die Details so schön herausgearbeitet sind. Wenn man all die schönen Melodien auswendig kennt, dann hört man eben genauer hin und findet seine Freude an diesen minutiösen Drechseleien.

Mit "Michel" begann 2005 unsere Zusammenarbeit mit Boogaerts. Weil "Michel" diesen beschriebenen leicht zerbrechlichen Charakter hatte mussten wir, als er neben Françoiz Breut einer der beiden Live-Acts bei "Le Pop On Tour" war, die Veranstalter bitten, bei seinem Auftritt die Bar zu schließen. Was nicht immer bei allen Zuschauern auf Gegenliebe stieß. Doch spätestens nach den ersten Tönen war der Groll über den sensiblen Künstler vergessen. Die Leute wurden von ihm zur Stille hypnotisiert. Ich erinnere mich noch gut an einen Moment in der Hamburger Fabrik, als 500 Leute keinen Mucks von sich hören ließen, während er eines seiner ruhigsten Stücke spielte. Ich stand neben dem Soundmann und der schaute mich mit ganz großen Augen an, so als wollte er sagen: "Das habe ich noch nie erlebt." Es war wie ein kleines Wunder, das er bei jedem seiner Solo-Auftritte wiederholte.

Das erste Vinyl-Album von Mathieu Boogaerts ist bei uns erschienen, weil damals Vinyl in Frankreich noch als snobistischer Luxus galt. Die Platte im Bild ist eine von 50, die wir in diesem Winter in einer verschollenen Merch-Kiste wiedergefunden haben. Könnt ihr haben.



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